[Eine Satire von Tobias Eichner, tobias@14all-magazin.com]
Für jeden Digital Native ein echtes Horrorszenario: Samstag abend und plötzlich streikt das Internet!
Ein übereifriger Bauarbeiter zerstückelt nebenan das Glasfaserkabel, der Sysadmin eines Rechenzentrums verschüttet Kaffee über die Technik, Blitz und Donner machen einem Verteilerkasten zu schaffen, der eigene Router steht nach dem Besuch einer „heißen“ Website plötzlich in Flammen…
Aber wen kümmert schon der Grund!? Kein Internet heißt nunmal kein Internet. Game over!
Disconnected – die Folgen sind verheerend!!
Abgetrennt von sozialen Netzwerken, Videostreaming-Diensten, Messengern. Die Cloud in unerreichbare Höhen entschwunden. Allein. Ganz allein. Niemand da. Angst und Panik greifen um sich. Bedeutet dies das Ende der Zivilisation, den Untergang des bis dato bekannten Wochenend-Daseins?
Hoffentlich erinnern Sie sich in solch einer menschlichen Extremsituation an diesen kleinen Artikel zur praktischen Lebenshilfe. Denn im folgenden stelle ich Ihnen einige Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung vor, die definitiv keinen Internetzugang benötigen.
Mal wieder ein gutes Buch lesen
Ja, richtig. Diese Dinger im Regal. Die immer beim Staubwischen im Weg sind. Buchstaben, Worte, manchmal sogar Bilder. Aufklappen und lesen, ganz ohne Strom – wie abgespaced ist das denn!?
Okay, wer jetzt natürlich einen ebook-Reader sein Eigen nennt, der für das Umblättern von Seite zu Seite sich erst die Erlaubnis des Lizenzinhabers aus dem Netz holen muss, wird zu spät erkennen: Papier ist geduldig, aber im Gegensatz zu digitalen Inhalten stets verfügbar.
Lesen bildet, sagt man. Und es stimmt. Also: Bücher raus, entspannt bei einer Tasse Tee hinsetzen und sich in eine fiktive Welt entführen lassen (hoppla, das ist ja fast wie im Internet).
Radio hören
Das Phänomen Internet-Radio ist schon erstaunlich: Der Lokalsender wird gestreamt, ins Internet über tausende Kilometer weit durch diverse Rechenzentren geschleust, codiert, komprimiert, verschlüsselt und dann – einen Kilometer vom Sendestudio entfernt – wieder dem Hörer nahegebracht.
Und erst Musik-Streaming. Dieses Musik-Ausleih-Modell, bei dem man ewig zahlt und doch nie sicher sein kann, im nächsten Monat „sein“ Lied noch im Repertoire vorzufinden.
Dabei könnte man Radiogenuss auch einfacher erleben – ganz altmodisch über Antenne. Kein WLAN, sondern UKW. Wer den unvermeidbaren Analog-Schock mildern will, hört eben DAB+. Das geht auch (es sei denn natürlich, der Netzausfall ist größer als befürchtet).
Was lernen wir daraus: CDs und MP3-Dateien (letztere nur auf der lokalen Festplatte lagernd, nicht irgendwo in der Cloud) besitzen unschlagbare Vorteile, vor allem weil man sie besitzt.
Miteinander reden
Nanu, da ist ja wirklich noch jemand neben mir auf dem Sofa. Wird hoffentlich kein Einbrecher sein?
Das Internet sollte Menschen miteinander verbinden, über Landesgrenzen hinweg. Doch was ist passiert: Irgendjemand kam daher und erfand das Smartphone.
Seitdem wird den ganzen Tag lang auf einen viel zu kleinen Bildschirm gestarrt. Egal wo. An der Bushaltestelle, auf dem Weg ins Büro und natürlich erst recht zu Hause. Nur nicht aufblicken, es könnte jemand versucht sein, dies als Aufforderung zu einem realen Gespräch fehlzuinterpretieren.
Dabei macht miteinander reden sogar Spaß. Gut, der Gesprächspartner spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Aber im Zweifelsfall sind Selbstgespräche auch schön – es sei denn, man widerspricht sich.
Putzen / Aufräumen
Es gibt doch keine bessere Beschäftigung, als durch körperliche Anstrengung den Frust über einen temporär lahmgelegten Internetzugang abzureagieren:
Staubsaugen, Fenster putzen, Wäsche bügeln – man denke nur einmal an die mannigfaltigen Optionen, die so ein eigener Haushalt zu bieten hat. Und mit ein wenig Optimismus macht das sogar richtig Spaß.
Okay, es soll Leute geben, die für das korrekte Falten von Hemden eine App oder den – derzeit nicht erreichbaren – digitalen Assistenten bemühen müssen. Aber wie sagt der Experte: „Versuch macht kluch.“
Spazieren gehen
Man könnte doch mal wieder raus gehen. In die freie Natur. Oder zumindest einen zaghaften Schritt vor die Haustür wagen; man will es ja mit der Abenteuerlust nicht gleich übertreiben.
Bislang war das unnötig, denn alles Lebensnotwendige wurde von (mehr oder weniger) gutaussehenden Paketboten geliefert. Das sind schon wilde Kerle (und taffe Mädels) – die trauen sich noch auf die Straße. Fast den ganzen Tag lang. Nachmachen!
Spielen
Nein, jetzt bloß nicht den PC anwerfen und daddeln. Auf unschuldige Moorhühner schießen oder eigenartig geformte Spielsteine in einer Reihe anordnen. Die Psychologie nennt das „Ersatzhandlung“.
Weg mit dem digitalen Kram, raus mit den guten alten Spielsachen. Damit kann man sich gut allein, zu zweit oder zu mehreren beschäftigen. Also kurzerhand bei den Nachbarn klingeln, vielleicht streikt deren Internet-Zugang auch gerade.
Die Ruhe genießen
Keine Lust zu nichts anderem? Dann bleibt nur noch eines:
Still sitzen, tief durchatmen und mal etwas tun, was man schon lange nicht mehr getan hat: Nichts. Gar nichts. Einfach den Gedanken freien Lauf lassen, wie es so schön heißt. Anfangs fühlt es sich vielleicht etwas ungewöhnlich an, ist aber mittelfristig durchaus angenehm.
Und… oh, Internet geht wieder. Das muss ich jetzt ganz schnell posten…
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: April 2018
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